Esel

Um das gleich einmal klar zu stellen:
Ich bin Esel!
Esel mit Leib und Seele!
Für gewöhnlich folge ich meinem Herrn, ohne aufzumucken.
Ja, man sagt uns Eseln nach, störrisch zu sein,
aber das kommt ganz auf unseren Herrn an.

Ich bin Esel mit Leib und Seele.
Ich trage, was mein Herr mir auflädt,
ziehe, was gezogen werden muss
und laufe von hier nach dort,
solange es meinem Herrn gefällt –
ohne einen Laut der Kritik.

Aber das hier!
Das hier geht einfach zu weit!
Unzählige Menschen mit unzähligen Eseln sind unterwegs,
weil es ihrem Herrn gefällt, dass sie sich in Listen eintragen lassen.
Unzählige Menschen sollen gezählt werden.
So wie es dem Herrn in Rom gefällt!
Jung und Alt ist unterwegs, weil es der Herr in Rom befohlen hat.

Ich selbst trage eine schwangere Frau auf meinem Rücken.
Mein Herr geht neben mir – zu Fuß von Nazareth nach Bethlehem.
Wo soll dieses Kind zur Welt kommen?
Am Straßenrand irgendwo zwischen Nazareth und Bethlehem?
Macht der Herr in Rom sich darüber Gedanken?
Ein guter Herr, sollte das tun!
Ein guter Herr sollte sein wie ein Hirte!

Um das gleich einmal klar zu stellen:
Ich bin Christ!
Christ mit Leib und Seele?
Ich bin unterwegs im Heute –
und jetzt im Advent auch irgendwie unterwegs nach Bethlehem.
Ich bin unterwegs von hier nach dort,
schaue hin auf die Brennpunkte dieser Welt,
nach Moria, in den Sudan, nach Syrien und Thailand.
Ich sehe die Natur kollabieren.
Ich schaue hin in Farbe und HD.
Ich schaue hin – ohne aufzumucken.
Ich schaue hin – ohne zu handeln.
Obwohl ich dir folgen will Herr, der du bist wie ein guter Hirte.

Bin ich Christ mit Leib und Seele?

Heike Nied

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